4. Prozesse mit Lichtbeteiligung – Querschnittsgebiet der MINT-Fächer
Wenn es um die Umwandlung von mechanischer in elektrische Energie und umgekehrt (Dynamo bzw. Elektromotor) oder von themischer in elektrische Energie und umgekehrt (Thermoelement bzw. Heizwiderstand) geht, gibt es eine lang tradierte und etablierte Zuordnung von Lehr-/Lerninhalten zum Physikunterricht. Bei all diesen Energieumwandlungen finden keine Stoffumwandlungen statt.
Dagegen werden Energieumwandlungen von chemischer in elektrische Energie und umgekehrt (Galvanische Zellen, Batterien, Akkumulatoren, Brennstoffzellen bzw. Elektrolyse und Galvanisierungen) im Chemieunterricht behandelt. Hier laufen jeweils auch Stoffumwandlungen ab. Die Trennlinie zwischen Physik und Chemie ist hier also ganz klar und knapp zu begründen: in die Physik gehören Energieumwandlungen ohne Stoffumwandlungen, in die Chemie Energieumwandlungen mit Stoffumwandlungen.
Ganz analog ließe sich eine Trennung zwischen Physik und Chemie auch bei den Energieumwandlungen mit Lichtbeteiligung einzeichnen und zuordnen. Danach gehörten die Chemilumineszenz und die photochemischen Reaktionen in die Chemie, die photovoltaischen Zellen und die LEDs und die OLEDs in die Physik. Dies sei „alles Photochemie“, erscheint auf den ersten Blick uneinssichtig. Es muss fachlich begründet und didaktisch verständlich aufbereitet werden. Tatsächlich läuft bei allen Photoprozessen Chemie ab, denn es werden überall neue chemische Spezies mit ganz neuen Eigenschaften in Form der angeregten Zustände A* gebildet, auch wenn das nur übergangsweise und für sehr kurze Zeit geschieht.
So können sich beispielsweise die Redoxeigensschaften angeregter Zustände A* dramatisch von denen der Grundzustände unterscheiden. Das macht sie zu funktionellen Farbstoffen, die als Photokatalysatoren und als photoaktive Materialien in Solarzelle, LEDs und OLEDs eingesetzt werden können.
Bei physikalischen Funktionseinheiten wie Solarzellen und Leuchtdioden finden also Prozesse statt, an denen elektronisch angeregte Zustände A* in Kreisläufen des Typs A → A* → A beteiligt sind. Stoffliche Umwandlungen der lichtaktiven Spezies wären schädlich. Sie würden die gewünschte Funktion des Bauelements (Umwandlung von Licht in elektrische Energie bzw. elektrische Energie in Licht) stören und nach kurzer Zeit vollständig unterbinden.
In biologischen Funktionseinheiten wie Blatt, Haut und Auge laufen lichtgetrieben chemische Reaktionen ganz unterschiedlicher Art ab (Reduktionen, Oxidationen, Isomerisierungen u. a.). Es gibt aber auch in Organismen, Photoprozesse, bei denen die Teilchen bestimmter lichtaktiver Stoffe, z. B. Photosensibilisatoren und Photokatalysatoren, zunächst als Lichtantennen fungieren, indem sie durch Absorption von Photonen in angeregte Zustände A* übergehen, um nach einer Energie- oder Elektronenübertragung auf Teilchen anderer Stoffe wieder zurückgebildet, also nicht verbraucht zu werden. Auch hier laufen Kreisläufe des Typs A → A* → A ab.
In der Informatik spielen Photoprozesse eine entscheidende Rolle bei logischen Schaltern in opto-elektronischen Bauteilen und in der Geographie bei lichtgetriebenen und lebensnotwendigen Reaktionen im Photoreaktor Atmosphäre.
Alle makroskopisch beobachtbaren Phänomene bei der Wechselwirkung von Licht mit Stoffen werden mithilfe von Elementarprozessen auf der Teilchenebene bei der Interaktion von Photonen mit Molekülen oder anderen Teilchenverbänden erklärt. Daher können fachspezifische Inhalte jedes einzelnen MINT-Faches anhand einzelner Facetten des Schlüsselkonzepts Licht erschlossen werden. Das Fach Chemie hat bei der Erschließung der Photoprozesse eine Vorreiterfunktion unter den MINT-Fächern. Allerdings ergibt sich im Kontext von Vorgängen mit Lichtbeteiligung eine inhaltsreiche Schnittmenge in mehrerer Disziplinen. Die Debatte über den Vorrang von Fachspezifik oder Querdisziplinarität in den MINT-Fächern hat also eine einfache, praktikable und zukunftsweisende Lösung. Sie lautet: „Fachspezifik und Querdisziplinarität mit Licht“.